Call for papers on "Rethinking the Meaning of Class in Ethnographic Research Practice"

2022-11-15

Fragen nach der Klassenzugehörigkeit von Wissenschaftler:innen und den Grenzen diese zu überwinden, sind spätestens nach Didier Eribons “Rückkehr nach Reims” (2009) wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Auch Autor:innen wie Julia Reuter et al. (2020; Vom Arbeiterkind zur Professur), Riccardo Altieri und Bernd Hüttner (2020; Klassismus und Wissenschaft) oder Francis Seeck und Brigitte Theißl (2020; Solidarisch gegen Klassismus) wiesen in ihren Publikationen unlängst auf die Relevanz der lange wenig thematisierten Klassenlage, bzw. auf die individuellen Wege klassenüberschreitenden Aufstiegs in dezidiert akademischen Räumen hin. Jüngst erfahren Erzählungen über die eigene Klassenposition und die Klassenzugehörigkeit bzw. damit verschränkte Ausschlüsse auch in öffentlichen Diskursen (erneut) eine große Aufmerksamkeit (Barankow & Baron 2021; Baron 2020; Ernaux 2018; Ernaux 2022; Louis 2014; Olivier 2022)

Ethnographische Forschungen beschäftigen sich damit, wie eben solche Klassenübergänge und soziale Mobilität(en) argumentiert und umgesetzt werden. Zudem ermöglichen sie es, die Sozialbeziehungen und den gesellschaftlichen Kontext jener zu betrachten, die unterschiedlichen Klassen zugeschrieben werden. (Lemberger 2019; Wellgraf 2012; Wellgraf 2018; Ege 2017) Sogenannte “transclasses”, wie Chantal Jaquet (2014) solche Individuen definiert, die den Wechsel von einer Klasse in eine andere unternehmen, können als wichtiger Ausgangspunkt für eine allgemeinere Subjektivitätstheorie gelesen werden (Spoerhase 2018). Manche Erfahrungen, die diese Personen etwa im kompetitiven Prozess machen, den sie in ihrem Berufsalltag begegnen, können für sie als typisch bezeichnet werden; man fühle sich  –  manchmal bis zur professoralen Ebene  – wie ein:e Hochstapler:in (Reuter et al. 2020; Hurst & Nenga 2016; Muzzatti & Samarco 2006). Demnach sind sich auch Akademiker:innen im Klassenübergang ihres „verdienten Erfolgs“ nicht sicher, verstehen ihn vielmehr als ein “making it by faking it” (Granfield 1991; Wietschorke 2019). 

Bernd Jürgen Warneken nimmt, wenn er über Themenpolitiken im Vielnamenfach Empirische Kulturwissenschaft / Europäische Ethnologie / Volkskunde / Kulturanthropologie nachdenkt, an, dass fast alle Wissenschaftler:innen „Mittelschichtskinder” sind und in der Regel keine persönlichen Verbindungen „nach unten” haben (Warneken 2020: 122). Zusammen mit seinem Kollegen Andreas Wittel kritisierte er zudem längst die geringe Reflexion von „Probleme[n] der Selbstbehauptung“ (Wittel & Warneken 1997: 1)  aufgrund ungleich verteilter Expertisen und Research Up-Situationen in Unternehmen, was massive Auswirkungen auf die Forschung und Verschriftlichung haben könnte, beispielsweise, wenn es darum geht, wie im Feld gemachte Demütigungen im Kontakt mit akademisch gebildeten und in ihrer Karriere bereits weit vorangeschrittenen Expert*innen den eigenen Bericht beeinflussen. Wird Selbstbehauptung im Feld auch durch die Klassenfrage plausibilisiert oder abgemildert? Was bedeutet es, in Forschungsfeldern in einer bestimmten Manier (nicht) performen zu können? Wie werden Sphärendiskrepanzen (El-Mafaalani 2021) im ethnographischen Prozess hervorgebracht?

Vor diesem Hintergrund möchten wir die Klassenherkunft und -position von ethnographisch Forschenden im gesamten Prozess von der Themenfindung und dem ethnographischen Erheben bis hin zur Auswertung und Verschriftlichung beleuchten. Willkommen sind daher Beiträge, die nachzeichnen, wie klassenstrukturierte Erfahrungen gemacht und welche Praktiken des Umgangs damit entwickelt werden. Wie wirken sich Hexis und Habitus der Ethnograph:innen (Bourdieu 1979), aber auch materielle Grundlagen auf die Forschungspraxis aus? Welche Rolle spielen mögliche intersektionale Verschränkungen? Wir freuen uns über (Re-)Lektüren eigener ethnographischer Forschungen, über (Re-)Interpretationen ethnographischer Arbeiten Dritter, aber auch über ganz grundlegende methodologische Reflexionen. Beiträge können sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache eingereicht werden.

Das Abstract (300 Wörter) ist bis zum 09. Januar 2023 zu versenden an An.Klass@campus.lmu.de und felix.gaillinger@univie.ac.at.  

Rückmeldung über die Annahme der Beiträge bis zum 15. Januar 2023.

Deadline zur Einreichung der Beiträge im Umfang von 4.000 bis 6.000 Wörtern: 01. Juni 2023

Bitte beachten Sie auch die redaktionellen Hinweise der Publikationsreihe: https://ka-notizen.de/index.php/ka-notizen/about/submissions